Heute müssen sich Menschen unweigerlich in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens mit der digitalen Welt auseinandersetzen. In Bereichen wie dem Gesundheitswesen, der Schule, den Banken, der Regierung und den Bibliotheken werden sogenannte IKT (Informations- und Kommunikationstechnologie) eingesetzt, die damit zu einem notwendigen Tool für die Bürger*innen werden, um die jeweiligen Dienste zu nutzen. Dazu müssen sie z. B. wissen, wie sie ins Internet kommen, E-Mails, Blogs oder soziale Netzwerke nutzen und darauf zugreifen können. Auch viele Unternehmen nutzen verschiedene Formen der IKT, was IKT-Kenntnisse zu einer Voraussetzung für viele Jobs macht. Allerdings verfügt nicht jeder über diese Kenntnisse. So entsteht die digitale Kluft oder digitale Ungleichheit (Cruz-Jesus, Vicente, Bacao, & Oliveira, 2015, S. 73) Die Digitale Kluft kann definiert werden als:
“… die Kluft zwischen Einzelpersonen, Haushalten, Unternehmen und geografischen Gebieten auf unterschiedlichen sozioökonomischen Ebenen, sowohl in Bezug auf ihre Möglichkeiten des Zugangs zu IKT als auch in Bezug auf ihre Nutzung des Internets für eine Vielzahl von Aktivitäten.” (Cruz-Jesus, Vicente, Bacao, & Oliveira, 2015, S. 72)
Mit dieser Definition gehen die Autor*innen davon aus, dass es nicht nur digitale Ungleichheit zwischen Individuen, sondern auch zwischen ganzen Ländern gibt, was bei der Diskussion über die digitale Kluft zu beachten ist. Eine weitere Definition stammt von der NTIA (National Telecommunications and Information Administration des US-Handelsministeriums) und beschreibt die digitale Kluft als:
“…die Kluft zwischen denjenigen, die Zugang zu neuen Technologien haben, und denjenigen, die keinen haben”. (Cruz-Jesus, Vicente, Bacao, & Oliveira, 2015, S. 73)
Eine andere Möglichkeit, die digitale Kluft zu definieren, wäre, der Fokus, dass Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status seltener an der digitalisierten Welt teilhaben und daher auch weniger von ihr profitieren. Innerhalb dieser Definition liegt ein besonderer Schwerpunkt auf dem sozioökonomischen Status. Das Gesundheitswesens sehen einige Wissenschaftler*innen als Beispiel für die digitale Kluft, da es Barrieren für den Zugang zu digitalen Gesundheitsangeboten aufweist (Müller, Wachtler, & Lampert, 2020).
Zillien (2009) konzentriert sich in Bezug auf die digitale Kluft ebenfalls auf den sozioökonomischen Status. Hier beschreibt sie die “Wissens-Kluft-Hypothese” im Kontext der Digitalisierung. Menschen mit einem besseren sozioökonomischen Status nutzen digitale Medien, um ihr Wissen zu erweitern und sich zu informieren. Das bedeutet nicht, dass Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status kein Wissen über das Digitale erlangen, aber ihnen fehlt oft die Kompetenz, mit der Komplexität der Informationen umzugehen. Dies führt zu einer größeren Ungleichheit bei der Nutzung von digitalen Medien (Zillien, 2009, S. 70-72). Zillien bezieht sich auch auf die Definition von Pippa Norris, die die digitale Spaltung in drei Bereiche unterteilt: die globale Kluft, die soziale Kluft und die demokratische Kluft. Die globale Kluft erklärt die Unterschiede beim Internetzugang zwischen Gesellschaften. Die soziale Kluft erklärt die Kluft zwischen den „Informationsreichen“ und den „Informationsarmen“ innerhalb einer Gesellschaft. Die demokratische Kluft betrifft die Unterschiede zwischen denen, die digitale Ressourcen nutzen, und denen, die sie nicht nutzen (Zillien, 2009, S. 90-92). Dies erklärt nicht die Entwicklungen in eher “wohlhabenden” Ländern oder Gesellschaften, in denen die Forschung oft ein gewisses Maß an Zögerlichkeit bei der Übernahme technologischer Innovationen feststellt (vgl. Fischer 2012).
Die Nutzung der digitalen Technologien kann in eine “erste Ebene” oder “digitale Kluft erster Ordnung” und in eine “zweite Ebene” oder “digitale Kluft zweiter Ordnung” unterteilt werden. Erstere bezieht sich auf den Zugang in Bezug auf die allgemeine Nutzung des Internets oder die Nutzungshäufigkeit. Letztere bezieht sich auf die Nutzung, die Fähigkeiten und die Kenntnisse im Umgang mit internetbezogenen Technologien (Friemel, 2016), (Cruz-Jesus, Vicente, Bacao, & Oliveira, 2015). Müller, Wachtler und Lampert (2020) beziehen sich ebenfalls auf diese beiden Ebenen, fügen aber noch eine dritte hinzu. Diese erklärt die Unterschiede bei der Nutzung digitaler Technologien zur Verbesserung der individuellen Gesundheit (Müller, Wachtler, & Lampert, 2020, S. 186).
Das Ziel der Digitalisierung sollte es sein, dass alle Menschen in der Lage sind, Informationen mit digitalen Mitteln zu erstellen, darauf zuzugreifen, sie zu nutzen und zu teilen. Im Laufe der Jahre hat sich das Verständnis der neuen Technologien vom Besitz eines Computers bis hin zum Internetzugang und der Nutzung eines Breitbandanschlusses entwickelt. Heute bezieht es sich vor allem auf die Nutzung von Online-Medien (Cruz-Jesus, Vicente, Bacao, & Oliveira, 2015).
Untersuchungen haben gezeigt, dass zwischen den europäischen Ländern eine Kluft in Bezug auf der Nutzung von digitalen Angeboten besteht. In Rumänien beispielsweise nutzen 45% der Bevölkerung regelmäßig das Internet, während es in Luxemburg 93 % sind. Der Grund dafür ist unter anderem das sozioökonomische Ungleichgewicht, das sich in den Unterschieden bei Einkommen, Alter und Bildung zeigt. Die Bildung hat einen großen Einfluss auf die IKT-Nutzung. Menschen mit höherer Bildung neigen dazu, IKT stärker im beruflichen und privaten Bereich zu nutzen, und haben auch weniger Probleme mit der Komplexität der Technologie (Cruz-Jesus, Vicente, Bacao, & Oliveira, 2015, S. 72-73).
Neben der Bildung gibt es auch einen Unterschied zwischen den Altersgruppen. Während der Bildungsstatus ein wichtiger Faktor für die jüngere Generation ist, zeigt sich ein anderer Einfluss bei der Generation 65+. In diesem Kontext hat das soziale Umfeld einen größeren Einfluss auf die digitale Inklusion oder Exklusion dieser Generation (Fulk et al., 1990). In diesem Zusammenhang wird in der Literatur auch von der “grauen Kluft” (Digital Age Gap) gesprochen. Ältere Menschen neigen eher dazu, digitale Dienste zu nutzen, wenn sie von Familie und Freund*innen motiviert werden (Friemel, 2016, S. 313-314), was als soziales Kapital angesehen werden kann. Es ist in dieser Altersgruppe sogar noch wichtiger als das ökonomische Kapital. Friemel (2016) zeigte, dass das soziale Kapital nicht nur einen Einfluss auf die Internetnutzung hat, sondern sogar der wichtigste Faktor ist, um ältere Menschen zu motivieren digitale Angebote zu nutzen.
Literatur:
Cruz-Jesus, F., Vicente, M. R., Bacao, F., & Oliveira, T. (2015). The education-related digital divide: An analysis for the EU-28. Computers in Human Behaviour, S. 72-82.
Fischer, H. (2012). Know Your Types! Konstruktion eines Bezugsrahmens zur Analyse der Adoption von E-Learning-Innovationen in der Hochschullehre. Dissertation, Uni Bergen.
Friemel, T. (2016). The digital divide has grown old: Determinants of a digital divide among seniors. new media & society, S. 313-331.
Fulk, J. , Schmitz, J. & Steinfield, C. (1990): A social influence model of technology use. In: J. Fulk & C. Steinfield (Eds.): Organizations and communication technology. Newburry Park: SAGE.
Müller, A. C., Wachtler, B., & Lampert, T. (2020). Digital Divide-Soziale Unterschied in der Nutzung digitaler Gesundheitsangebote. Bundesgesundheitsblatt, S. 185-191.
Zillien, N. (2009). Digitale Ungleichheit: Neue Technologien und alte Ungleichheit in der Informations- und Wissensgesellschaft. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.