Digitale Weltgestaltung

Autor*innen: Christa Markom, Jelena Tošić, Magdalena Steger
Tags: Digitale KluftDigitale AlterskluftDigital Gender GapDigital Queer GapDigitales GeschichtenerzählenCyberethikDigitale Inklusion

Worldmaking, also eine „Welt machen/gestalten“, wird häufig gleichgesetzt mit dem Begriff der „Realität“ sowie deren Gestaltung. Dieser Zugang zu Worldmaking impliziert allerdings, dass es gleichzeitig Welten gibt, die nicht real sind, sondern konstruiert oder erfunden. Gerade wenn man von online Welten spricht, wird häufig der Begriff der virtuellen Welt bzw. nicht- realen Welt verwendet. Dabei kann die offline Welt genauso konstruiert sein, wie die online Welt real sein kann. Anneesh, Hall und Petro (2012) beschreiben die Konstruktion einer Welt als, durch Netzwerke und verschiedene Ebenen gemacht, und zwar über Kunst, Medien und soziale Praktiken hinweg. Eine objektive, universelle Welt, die für alle gleich ist, gibt es daher nicht. Die „reale“ Welt ist jene Welt, in der sich ein bestimmter Mensch zu einem Zeitpunkt bewegt. Diese kann sowohl online als auch offline sein. (Aneesh, Hall, & Petro, 2012, S. 1-3)

Die häufig vorgenommene Trennung zwischen der offline und der online Welt ist nicht vornehmbar. Die digitale Welt ist für viele Personen ein Teil der offline Welt und lässt sich nicht abgrenzen. Der Kommunikations- und Sozialwissenschaftler Ahmet Atay schreibt in seinem Artikel darüber, dass sich das Leben und die Identitäten, zwischen Kultur und Sprache bewegen, sowie zwischen der online Welt und der offline Welt. Der Alltag von vielen Menschen ist von dem Digitalen geprägt. Neben sozialen Medien, wie Facebook, Instagram oder Twitter werden auch digitale Technologien verwendet wie Smartphones, Laptops oder MP3-Player. Auch die Pandemie in den letzten Jahre hat gezeigt, dass sich Aspekte des Alltags, die vorher in der “realen“ Welt stattgefunden haben, leicht in die „digitale“ Welt transportieren lassen. Online-Unterricht oder Arbeitsmeeting via ZOOM, lassen die Grenze zwischen der realen und digitalen Welt verschwimmen. (Atay, 2021)

Neben sozialen Medien sind auch sogenannte „Second Lifes“ oder „virtuelle Realitäten“ Teil der digitalen Weltgestaltung. Virtuelle Realitäten werden zum Beispiel eingesetzt, um Kindern mit Autismus zu helfen, besser mit Herausforderungen in der offline Welt zurecht zu kommen. Mit Hilfe der virtuellen Realität kann in einer sicheren Umgebung geübt werden mit verschiedenen Situationen der „realen“ Welt umzugehen. Dabei besteht die virtuelle Realität manchmal aus einem Abbild der „realen“ Welt. Es kann aber auch eine völlig neue Welt gebaut werden. (Bellani, Fornasari, Chittaro, & Brambilla, 2011)

Dass online ähnliche Aktivitäten möglich sind, wie in der offline Welt, zeigen Computerprogramme, sie sogenannten „Second Lifes“. User*innen kreieren einen Avatar, mit dem sie in einer gewissen Umgebung „leben“. Es geht darum, genau dasselbe zu machen, wie in der offline Welt. Verschiedene User*innen treffen sich und gehen gemeinsam ins Kino, zum Tanzunterricht oder in ein Café. Es kann daher auch nicht von einem Computerspiel gesprochen werden, da es kein endgültiges Ziel zu erreichen gilt, sondern ein (zweites) Leben aufgebaut und gelebt wird. (Boellstorff, 2015)

Wie erwähnt gestalten User*innen ihre eigene Avatare. Unter anderem kommt das Menschen aus der LGBTIQ+ Community zugute, da Identitäten leichter geändert werden können als in der offline Welt. Die Identität, die man daher online annimmt, kann mitunter näher an der eigenen „Realität“ sein als die, die jemand in der offline Welt hat. (Boellstorff, 2015)

Atay (2021) konzentriert sich in seinem Artikel außerdem auf queere Identitäten in Verbindung mit der digitalen Welt. Die online Welt bringt nach ihm völlig neue Möglichkeiten, Themen wie Queerness zu verhandeln und auszudrücken.1 Atay nennt das Digital Queer Worldmaking. Als eine Art des digitalen Aktivismus und Empowerment, sieht er in der digitalen Welt einen neuen Weg “…to empower silent and marginalized queer and trans voices within our discipline.” (Atay, 2021, S. 183)

Menschen stellen sich die Welt also aus verschiedenen Perspektiven vor und denken über die Welt als Ganzes nach. Die Betrachtungen, Ideen und das Verständnis von der Welt geschehen dabei immer aus einer bestimmten Perspektive. Die Vorstellung davon, wie die Welt geordnet ist, kann durch politische Systeme sein, religiöse Vorstellungen oder eine Verbindung zwischen verschiedenen Teilen, Elementen, Räumen und Zeiten. (TRANSCA, 2022) Das sieht man in der Verknüpfung zwischen der online und offline Welt. Wie oben beschrieben ist sie nicht getrennt voneinander, sondern bedingt einander und überschneidet sich mitunter sogar. Auch das Leben in verschiedenen Kollektiven und Gruppen kann unterschiedlich konzeptualisiert sein. Beispiele dafür sind „Second Life“ oder Gruppen auf sozialen Medien, in denen man sich austauschen kann.

Spricht man also von „Worldmaking“ darf nicht nur von der offline Welt ausgegangen und eine Verbindung oder Überschneidung mit der online Welt nicht ignoriert werden.

 

Literaturverzeichnis

Aneesh, A., Hall, L., & Petro, P. (2012). Beyond Globalization: Making New Worlds in Media, Art, and Social Practices. New Jersey: Rutgers University Press.

Atay, A. (4. Mai 2021). Transnational and decolonizing queer digital/quick media and cyberculture studies. Communication and Critical/Cultural Studies, S. 182-189.

Bellani, M., Fornasari, L., Chittaro, L., & Brambilla, P. (2011). Virtual reality in autism: state of the art. Epidemiology and Psychiatric Sciences, S. 235-238.

Boellstorff, T. (2015). Coming of Age in Second Life: An Anthropologist Explores the Virtually Human. Princeton: Princeton University Press.

TRANSCA. (2022). Translating Socio-Cultural Anthropology into Education. Von https://www.transca.net/de/Videos abgerufen

1 Für nähere Informationen siehe Digital Queer Gap